Die Stasiakte

MFS - HA XX/AKG NR. 6849

Inhalt

Dass die Stasi Martin Böttger beobachtete, war, bedingt durch seine oppositionelle Tätigkeit, keine große Überraschung – mehrere tausend Seiten umfasst seine Akte. Dass er aber nach dem Mauerfall eine Kopie seines Spiels Bürokratopoly darin fand, überraschte ihn dann doch. Zwar wurde Böttger zu DDR-Zeiten von der Stasi nicht auf sein Spiel angesprochen, dennoch wurde ein Aktenbeitrag und eine Kopie des kompletten Spielplans, inklusive aller Ereigniskarten und der Spielanleitung, in seine Akte aufgenommen.

Am 12. Februar 1985 schrieb die Stasi zum operativen Vorgang »Diplom«: »über ein sogenanntes Gesellschaftsspiel ›Bürokratopoly‹«. Aus dem Bericht der Hauptabteilung XX (zuständig u. a. für den »politischen Untergrund«) geht hervor, dass »inoffiziell [bekannt wurde], da[ss] in Kreisen des politischen Untergrundes seit ca. 2 Monaten von einem neuen sogenannten Gesellschaftsspiel mit negativ-feindlichem Charakter namens ›Bürokratopoly‹ gesprochen wird, welches von dem operativ bekannten Böttger, Martin (…) entworfen wurde«.

Wie die Stasi an das Spiel gelangte, ist bis heute nicht geklärt. Allerdings wird erkenntlich, dass der zuständige Stasi-Offizier Anfang Februar 1985 von einer »zuverlässigen inoffiziellen Quelle« eine Kopie Bürokratopolys erhielt. Diese stand der Stasi für eine gewisse Zeit zur Verfügung, sodass sie kopiert werden konnte. Über den Inhalt des Gesellschaftsspiels ist in der Stasi-Akte zu lesen, dass es sich um ein Würfelspiel handelt, »welches auf ironische Weise angebliche Wege zur Erlangung und zum Verlust politischer Macht in der DDR aufzeigt und auf diese Art die gesellschaftlichen Verhältnisse verächtlich macht«.

Dieses »Verächtlichmachen« der DDR war nach § 220 Strafgesetzbuch strafbar, dennoch unternahm die Staatssicherheit im Bezug auf das Spiel nichts. Böttger vermutet, dass die Stasi wegen seiner Kontakte zu West-Medien, die viele Oppositionelle in der DDR unterhielten, nicht gegen ihn in seiner Rolle als Spieleautor vorging – man stelle sich die Schlagzeile vor: »Spielverderber DDR – Oppositioneller wegen Bastelns eines Brettspiels verhaftet«

Aus der Akte geht hervor, dass Bürokratopoly am 19. Dezember 1984 erstmals durch Rüdiger Teichert-Rosenthal einem größeren Personenkreis vorgestellt wurde. Ort dieser Zusammenkunft war die Wohnung von Bärbel Bohley, ebenfalls Oppositionelle und Mitbegründerin des Neuen Forums. Laut Stasi-Akte fand das Spiel bei den anwesenden Personen, unter denen sich auch Dirk Schneider befand, ein Bundestagsabgeordneter der Grünen, keine größere Beachtung. Später wurde bekannt, dassDirk Schneider längere Zeit inoffizieller Mitarbeiter des MfS war – möglicherweise war er die Quelle, durch die die Stasi an das Spiel gelangte. Neben den Kontakten zu westlichen Medien zwangen auch Besuche von Bundestagsabgeordneten bei Bärbel Bohley, Martin Böttger und anderen Oppositionellen die Stasi dazu, bei Aktionen gegen die Opposition mit Bedacht vorzugehen. Die Stasi war sich bewusst, welche Folgen Verhaftungen aus fadenscheinigen Gründen auslösen konnten. In vielen Fällen führte das Bekanntwerden von Verhaftungen und Zersetzungsmaßnahmen zu Medienberichten und politischem Druck aus der Bundesrepublik.

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